An anthology of German literature - Part 75
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Part 75

FAUST. Wie heissest du? Und wie schnell bist du?

DER ERSTE GEIST. Du konntest eher eine Probe als eine Antwort haben.

FAUST. Nunwohl! Sieh her: was mache ich?

DER ERSTE GEIST. Du fahrst mit deinem Finger schnell durch die Flamme des Lichts--

FAUST. Und verbrenne mich nicht. So geh auch du und fahre siebenmal eben so schnell durch die Flammen der Holle und verbrenne dich nicht! --Du verstummst? Du bleibst? --So prahlen auch die Teufel?

Ja, ja; keine Sunde ist so klein, da.s.s ihr sie euch nehmen liesset.

--Zweiter, wie heissest du?

DER ZWEITE GEIST. Chil, das ist in eurer langweiligen Sprache: Pfeil der Pest.

FAUST. Und wie schnell bist du?

DER ZWEITE GEIST. Denkest du, da.s.s ich meinen Namen vergebens fuhre?

--Wie die Pfeile der Pest.

FAUST. Nun, so geh und diene einem Arzte! Fur mich bist du viel zu langsam. --Du dritter, wie heissest du?

DER DRITTE GEIST. Ich heisse Dilla; denn mich tragen die Flugel der Winde.

FAUST. Und du vierter?

DER VIERTE GEIST. Mein Name ist Jutta; denn ich fahre auf den Strahlen des Lichts.

FAUST. O ihr, deren Schnelligkeit in endlichen Zahlen auszudrucken, ihr Elenden--

DER FuNFTE GEIST. Wurdige sie deines Unwillens nicht. Sie sind nur Satans Boten in der Korperwelt. Wir sind es in der Welt der Geister; uns wirst du schneller finden.

FAUST. Und wie schnell bist du?

DER FuNFTE GEIST. So schnell als die Gedanken des Menschen.

FAUST. Das ist etwas! --Aber nicht immer sind die Gedanken des Menschen schnell. Nicht da, wenn Wahrheit und Tugend sie auffordern.

Wie trage sind sie alsdenn! --Du kannst schnell sein, wenn du schnell sein willst; aber wer steht mir dafur, da.s.s du es allezeit willst? Nein, dir werde ich so wenig trauen, als ich mir selbst hatte trauen sollen. Ach!-- (_Zum sechsten Geiste_) Sage du, wie schnell bist du?

DER SECHSTE GEIST. So schnell als die Rache des Rachers.

FAUST. Des Rachers? Welches Rachers?

DER SECHSTE GEIST. Des Gewaltigen, des Schrecklichen, der sich allein die Rache vorbehielt, weil ihn die Rache vergnugte.

FAUST. Teufel! du lasterst; denn ich sehe, du zitterst. --Schnell, sagst du, wie die Rache des--bald hatte ich ihn genennt! Nein, er werde nicht unter uns genennt! --Schnell ware seine Rache? Schnell?

--Und ich lebe noch? Und ich sundige noch?

DER SECHSTE GEIST. Da.s.s er dich noch sundigen la.s.st, ist schon Rache!

FAUST. Und da.s.s ein Teufel mich dieses lehren muss! --Aber doch erst heute! Nein, seine Rache ist nicht schnell, und wenn du nicht schneller bist als seine Rache, so geh nur!-- (_Zum siebenten Geiste_) Wie schnell bist du?

DER SIEBENTE GEIST. Unzuvergnugender Sterbliche, wo auch ich dir nicht schnell genug bin--

FAUST. So sage: wie schnell?

DER SIEBENTE GEIST. Nicht mehr und nicht weniger als der ubergang vom Guten zum Bosen.

FAUST. Ha! Du bist mein Teufel! So schnell als der ubergang vom Guten zum Bosen! --Ja, der ist schnell; schneller ist nichts als der! --Weg von hier, ihr Schnecken des Orcus! Weg! --Als der ubergang vom Guten zum Bosen! Ich habe es erfahren, wie schnell er ist! Ich habe es erfahren! u.s.w.

Was sagen Sie zu dieser Szene? Sie wunschen ein deutsches Stuck, das lauter solche Szenen hatte? Ich auch.

[Notes: 2: The _Bibliothek der schonen Wissenschaften_, a magazine conducted by Nicolai and Mendelssohn.

3: Caroline Neuber was a famous actress, who between 1727 and 1748 cooperated with Gottsched for the improvement of the Leipzig stage.

4: The 'Swiss critic' is Bodmer. 'Darius,' the 'Oysters,' etc., are the t.i.tles of plays included in Gottsched's _Deutsche Schaubuhne_ (1740-1745) 5: In his _Discours sur la tragedie_ Voltaire speaks of Addison's _Cato_ as "la seule bien ecrite d'un bout a l'autre chez votre [Lord Bolingbroke's] nation."]

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_From 'Laokoon,' Chapter 16._

Doch ich will versuchen, die Sache[6] aus ihren ersten Grunden herzuleiten.

Ich schliesse so: Wenn es wahr ist, da.s.s die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Zeichen gebraucht als die Poesie, jene namlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Tone in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhaltnis zu dem Bezeichneten haben mussen: so konnen neben einander geordnete Zeichen auch nur Gegenstande, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, auf einander folgende Zeichen aber auch nur Gegenstande ausdrucken, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen.

Gegenstande, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, heissen Korper. Folglich sind Korper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstande der Malerei.

Gegenstande, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen, heissen uberhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.

Doch alle Korper existieren nicht allein in dem Raume, sondern auch in der Zeit. Sie dauern fort und konnen in jedem Augenblicke ihrer Dauer anders erscheinen und in anderer Verbindung stehen. Jede dieser augenblicklichen Erscheinungen und Verbindungen ist die Wirkung einer vorhergehenden und kann die Ursache einer folgenden und sonach gleichsam das Zentrum einer Handlung sein. Folglich kann die Malerei auch Handlungen nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Korper.

Auf der andern Seite konnen Handlungen nicht fur sich selbst bestehen, sondern mussen gewissen Wesen anhangen. Insofern nun diese Wesen Korper sind oder als Korper betrachtet werden, schildert die Poesie auch Korper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen.

Die Malerei kann in ihren coexistierenden Compositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen und muss daher den pragnantesten wahlen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am Begreiflichsten wird.

Ebenso kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Korper nutzen und muss daher diejenige wahlen, welche das sinnlichste Bild des Korpers von der Seite erwecket, von welcher sie ihn braucht.

Hieraus fliesst die Regel von der Einheit der malerischen Beiworter und der Sparsamkeit in den Schilderungen korperlicher Gegenstande.

Ich wurde in diese trockene Schlusskette weniger Vertrauen setzen, wenn ich sie nicht durch die Praxis des Homers vollkommen bestatigt fande, oder wenn es nicht vielmehr die Praxis des Homers selbst ware, die mich darauf gebracht hatte. Nur aus diesen Grundsatzen la.s.st sich die grosse Manier des Griechen bestimmen und erklaren, so wie der entgegengesetzten Manier so vieler neuern Dichter ihr Recht erteilen, die in einem Stucke mit dem Maler wetteifern wollen, in welchem sie notwendig von ihm uberwunden werden mussen.

Ich finde, Homer malet nichts als fortschreitende Handlungen, und alle Korper, alle einzelne Dinge, malet er nur durch ihren Anteil an diesen Handlungen, gemeiniglich nur mit Einem Zuge. Was Wunder also, da.s.s der Maler da, wo Homer malet, wenig oder nichts fur sich zu tun siehet, und da.s.s seine Ernte nur da ist, wo die Geschichte eine Menge schoner Korper in schonen Stellungen in einem der Kunst vorteilhaften Raume zusammenbringt, der Dichter selbst mag diese Korper, diese Stellungen, diesen Raum, so wenig malen, als er will.

[Notes: 6: _Die Sache_ is the fundamental difference between plastic art (_Malerei_) and poetry.]

+LXXIII. JOHANN GOTTFRIED HERDER+